Ode an die Imperfektion I | Eva Karel | Brutstätte für Yoga, Text & Bild

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Ode an die Imperfektion I

13. März 2013
Ode an die Imperfektion I

Kurz bevor ich mit Sohn 1 schwanger wurde, verbrachte ich wieder einmal ein Monat in Nordindien. Was ich wollte war eine ordentliche Yoga-Infusion und eine Portion Abgeschiedenheit.

Ich liebe es, allein zu reisen. Mir schlottern zwar die Knie, doch immer beobachte ich staunend, wie sich dabei alles von selbst fügt. Vom Flughafen ließ ich mich per Riksha zum Busbahnhof kutschieren. Zwar konnten sich meine Fahrer Rajiv und Kumar auf unserer Reise quer durch Delhi nicht so recht für eine der beiden Straßenseiten entscheiden, weswegen sie diplomatisch die Mitte wählten (welche sie dann laut hupend  konsequent verteidigten). Außerdem öffneten sie während der Fahrtregelmäßig die Autotüren, um auf die Straße zu spucken, doch abgesehen davon waren die beiden ganz wunderbar.

Am Busbahnhof angekommen, sahen Rajiv und Kumar zu, dass ich im richtigen Bus nach Rishikesh landete, instruierten de Busfahrer vorsorglich, wo er mich aussteigen lassen solle und reservierten mir einen Platz ganz vorne.

Ich hatte sehr klare Vorstellungen, wie ich das Monat verbringen wollte, Indien hingegen hatte sehr klare Vorstellungen davon, wie dies zu sabotieren sei. Weder existierte die von mir angepeilte Unterkunft, noch waren Plätze im von mir angepeilten Yogakurs frei, ich wurde leicht unrund.

Am nächsten Tag traf ich in einem Café auf Jean, den gestrandeten Musiker aus Frankreich mit den schlechten Zähnen, der es sich gemeinsam mit seinem blonden Kumpanen Bob aus Kalifornien zur Aufgabe machte, mir ein Quartier zu suchen. Einen Nachmittag lang klapperten wir gemeinsam den Ort ab, während er mir von seiner gescheiterten Ehe und seiner Gitarre erzählte. Am Ende des Tages hatte ich in einem alten, relativ schäbigen Ashram direkt am Gangesufer Unterschlupf gefunden.

Was soll ich sagen – dort verbrachte ich die großartigste Zeit. Einerseits, weil der Ashram so etwas liebenswert Absurdes an sich hatte, andererseits, weil ich dort Menschen der speziellen Sorte kennen lernte. Ihr wisst schon, diese Sorte, bei denen man das Gefühl hat, sie bereits ewig zu kennen.

Mein Zimmer war etwa 6 m2 groß, ziemlich hässlich und ziemlich schmutzig, aber ich liebte es.

Es hatte kein Glas in den Fenstern und die hölzernen Fensterläden schlugen nachts bei jedem Windhauch aneinander. Die Farbe blätterte von den Wänden, der Boden war kalt. Schon allein der Weg zu meinem Zimmer bereitete mir die diebischste Freude. Mein Zimmer hatte die Nummer 98, man fand es jedoch, indem man zunächst den Schildern mit der Aufschrift ‘Toilet’ folgte, und dann den Treppenaufgang mit der Aufschrift ‘Rooms 14-21′ nahm. – Kein Scherz!

Immer dieses Wirrwarr von Gegensätzen in diesem Indien, Herrschaftzeiten! Ständig prallt Positives auf Negatives und man weiß nie, was man nun davon halten soll. Curry und Räucherstäbchenduft, Kühe und Autoabgase. An einem Flussufer wird gechantet, die Rikshas hupen unermüdlich, Kinder rufen, Händler schreien. Sadhus baden im Ganges, ein paar Touristen tunken ihre großen Zehen ein.

Und trotz all dem Tohuwabohu so friedlich.

Fortsetzung folgt.