
Ode an die Imperfektion II

So, das hat ein Zeitl gedauert, doch hier bitteschön: die Fortsetzung.
In besagtem Ashram gabelte ich Martha, eine kleingewachsene Mittfünfzigerin aus Ohio, auf. Mit manchen Menschen ist es ja so - man sieht sie an und weiß: Das passt. Wir grinsten uns also diebisch bis über beide Ohren an und gingen nahtlos dazu über, uns wie nähebedürftige Zwillinge zu verhalten. Wir trafen uns auf der riesigen Veranda zum Frühstück, wir lauschten den vormittäglichen Yoga-Philosophy lectures des ansässigen Swami Dharmananda, der mit hinreissender Selbstironie glänzte. Danach nahm ich den lieben langen Tag an verschiedenen Yogastunden teil. Abends saßen wir bis spät in die Nacht hinein auf einem unserer Betten, erzählten und kreischten vor Lachen.
Ich habe mich sehr bewusst von der Strenge und der Disziplin des Iyengar-Yogas distanziert und mir nur einzelne Elemente mitgenommen. Ich habe gute Gründe, warum Ashtanga-Yoga nichts für mich ist. Ich kann mich stundenlang darüber auslassen, warum dieser humorvolle Zugang, der mindestens aus 7 verschiedenen Yogastilen und einer großen Portion eigenem Süppchen besteht, wie ich ihn seit Jahren lebe und unterrichte, meine bewusste Wahl ist. In Yogabrutstätten wie Rishikesh lasse ich mich trotzdem verunsichern.
"Der Plan! Der Masterplan muss her!! Es muss den einen geben!" steigere ich mich nach allen Regeln der Kunst hinein, während ich nervös wie ein Sittich mit dem Kopf zucke. Früher ging's da eher um Körpergewicht und Consorten, als frischgebackene Mutter ging's um die richtige Kindererziehung (hahahaha! köstlich!). Selbstverständlich passiert mir das eben auch in Bezug auf Yoga. Im Yoga ist es ja wie überall sonst: Ungezählte Zugänge, die sich zuweilen widersprechen, ungezählte Menschen mit ungezählten Meinungen. Ich bin da meistens sehr offen und der Meinung, alle sollen treiben, was sie wollen, solange sie niemandem schaden.
Wenn ich dann aber diese Hardcore-Yogis und Yoginis sehe, diese Komplett-Aussteiger, die nicht nur hin und wieder, sondern ständig in Indien herumkrebsen und sich der spirituellen Suche komplett verschrieben haben.... Dann fühle ich mich wie ein kleines Würschtl. Während ich äußerlich nach wie vor keck und selbstsicher erscheinen mag, fragt sich mein Hirn, ob die anderen vielleicht doch 'rechter' haben mit ihren Zugängen?
Ich plapperte Martha mit der Hirngymnastik des jeweiligen Tages die Ohren voll. Ob ich meinen gesamten Yogaunterricht umkrempeln soll? Oder sind alle anderen deppert und eh mein Zugang der einzig Wahre? Gehe ich viel zu freizügig mit den Traditionen um, mache ich alles falsch und habe es noch nicht mal bemerkt? Und könnte es vielleicht sein, dass ich in leicht drastischen Kategorien denke?
Zu meinem Glück bin ich oft von Menschen umgeben, die guten Boden unter den Füßen haben und ausreichend Humor, um mich aus meinem Hirnkrampf zu katapultieren. Das trifft auf den Mann an meiner Seite zu und Martha stand ihm da in nichts nach. Sie hörte gänzlich unbeeindruckt zu, tätschelte mir freundlich das Knie und da ich nicht den Anschein erweckte, mit mir seien konstruktive Gespräche zu führen, wechselte sie flugs das Thema. Sie erzählte mir von ihrer Affäre mit einem 30-Jährigen Nepali, den sie vor kurzem bei einem Trek aufgegabelt habe. Ich könne mir ja kaum vorstellen, wie großartig es sei, endlich wieder einmal viel zuviel Sex auf einmal zu haben! juchzte sie. Doch da man - wenn sie es sich recht überlegte – im Grunde gar nicht zuviel Sex haben könne, weswegen sie nach meiner Abreise schnurstracks zurück nach Nepal zu fahren gedenke.
Ich musste so lachen, dass ich spontan wieder normal wurde. Sie rieb sich triumphierend die Hände und fragte mich, ob wir nicht vielleicht noch eine Runde mit diesen "hippie-weirdos" ums Lagerfeuer tanzen gehen. Was wir selbstverständlich taten.