
Vom Schreiben. Wie man größere Projekte ins Rollen bringt

Ah, Frühling. Vor allem: strahlende Morgen. Bevor ich Kinder hatte, wusste ich von denen ja praktisch nichts, da grundelte ich fröhlich bis zwei Uhr früh vor der Staffelei, hinter Skripten oder in befreundeten WGs herum und kraxelte gegen neun Uhr morgens aus der Hapfn. Merke: Man kann den eigenen Biorhythmus bei Bedarf - also in meinem Fall aufgrund hartnäckig frühaufstehenden Nachwuchses - durchaus umstellen, um sich dann (meistens) ohne Grant die Morgensonne aufs Hirn scheinen zu lassen.
Ich bin ja so ein Hau-Ruck-Mensch, doch meine Schweinehunde sind eine Saubande. Beim selbständig Arbeiten empfinde ich oft als größte Herausforderung, mir selbst eine Zeitstruktur zu geben. Während des Schreibens meiner Diplomarbeit habe ich diesbezüglich im writers'studio Dinge gelernt, die mein Leben von Grund auf verändert haben. Das meine ich durchaus so sülzig, wie es klingt. Und hier sind auch schon die Gründe: Einerseits habe ich dort das Schreibhandwerk von der Pike auf gelernt, andererseits wurde mir immer und immer wieder gepredigt: Nimm dich ein bissl mit Schmäh. Nicht drillen, sondern elegant durch die eigenen Unzulänglichkeiten durchmanövrieren. Durch all das Aufschieben, das Nicht-Beginnen-Können, die Selbstzweifel - alles, was so ein größeres Projekt eben mit sich bringt. Sich selbst Blumen kaufen, bezirzen statt drillen. Ein Minischritt nach dem anderen. So nehmen größere Projekte langsam Form an. Nicht warten, bis alles scheinbar perfekt ist, stattdessen: Kleine Zeiteinheiten, das Schreibprojekt in den Alltag weben, wie er sich eben gestaltet.
Letzte Woche habe ich die Hürde genommen und begonnen, mich jeden Tag zehn Minuten mit meiner Dissertation zu beschäftigen. Mein Notizheft habe ich immer in der Tasche und wenn mir am Sandkistenrand hockend eine Idee kommt, schreibe ich sie schnell auf. Neben meinem Bett liegt ebenfalls ein Zettel und wenn mir - weil die besten Gedanken ja nicht am Schreibtisch kommen - im Einschlaf-Dämmermodus eine Formulierung oder eine wichtige Frage einfällt, kritzle ich sie im Halbschlaf hin. Das befeuert meinen Wissensdurst so nachhaltig, dass ich inzwischen drei Fachbereichsbibliotheken durchforstet, zwanzig Bücher nach Hause geschleppt, drei davon bereits überblicksweise durchgeschaut und erste Rohtexte verfasst habe. Außerdem habe ich feierlich mein Dissertationsdeckblatt entworfen. Ich brenne. Vor Aufregung, vor Freude. Weil ich mich auf den Weg gemacht habe. Weil ich etwas tue, vor dem mir ewig die Knie geschlottert haben.
Diesen Sommer halte ich übrigens wieder das Seminar "Frei Geschrieben. Mut, Freiheit und Strategie für wissenschaftliche Abschlussarbeiten" im Wiener writers'studio. Herbei mit euch, ihr Schreibwilligen!
Und dann habe ich gestern beschlossen, es sei wieder mal Zeit für einen Ateliervormittag mit dem vierjährigen Söhnchen. Nachdem ich beim Letzten aufgrund seiner Malbegeisterung von einer Verzückung in die nächste gekippt bin, beschloss er, mich diesmal anderweitig zu erfreuen. Zwar war er durchaus gewillt, sich ins Malgewand wurschteln zu lassen, den Rest des Vormittags hat er dann allerdings damit verbracht, den Höhenverstellmechanismus meiner Staffelei detailliert in Augenschein zu nehmen, sämtliche Schrauben zu öffnen und wieder zu verschließen, sehr laut Musik zu hören und als das Objekt Staffelei ausreichend begutachtet war, informierte er mich, er wäre nun geneigt, "Zug" zu spielen. Während ich noch meine Stirn runzelte, ging er bereits gänzlich in seiner Rolle als ÖBB-Steward auf. Mein kleines Rollwagerl, das meine Farbtuben beheimatet, vor sich herschiebend pflanzte sich keck neben mir auf: "Jo, grüß Gott! Wollen sie vielleicht einen Kaffee oder ein Weckerl?"
"Oh, gerne. Einen Verlängerten ohne Zucker und einen Käsekornspitz bitte."
"So, bitte sehr." (überreicht mir mit todernster Miene eine Tube grüne Acrylfarbe)
"Macht elfzig Euro."