
bei Leerlauf feiern die Synapsen Kirtag.

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Ich finde das so spannend. Unlängst bekam ich eine Dissertation zwecks strukturellem Lektorat in die Hände gedrückt. 17 mehr oder weniger lose aneinandergereihte Kapitel auf knapp 400 Seiten hatte das gute Stück. 17 Kapitel, die vergeblich versuchten, zu einem Kern vorzudringen. Das Ergebnis von 2 Jahren minutiös dokumentierter Archivarbeit. Nun sei der Wald vor lauter Bäumen nicht mehr ersichtlich, ich möge bitteschön zur Rettung eilen.
Ich gebe zu, der Textkoloss lag mir im Magen. Wie anfangen? Zum Anfangen braucht es einen Ruck, einen wohlmeinenden, sich zärtlich selbst verpassten Arschtritt. Sobald das Radl rennt, ist es ein stetes Hin- und Hermanövrieren zwischen fokussiertem Arbeiten und komplettem Loslassen. Ein Switchen zwischen Chaos und Ordnung, Chaos und Ordnung. Meinen Studierenden liege ich ständig in den Ohren, Überarbeitungstexte zunächst mit einem weiten Blick anzugehen. Also kein Herumgetüftle an Beistrichsetzung, kein Herumgefeile an möglichst perfektem sprachlichem Ausdruck. Erst einmal den Rohtext auf starke Stellen und Kernaussage hin überfliegen. - Bei einem 400-Seiten-Werk leichter dahingesäuselt, als getan. Ich ermahnte mich also kontinuierlich zum Mut zur Lücke und las quer, bis ich einen ersten Eindruck hatte.
Mein erster Eindruck war: Wos waß i, heast?!
Also hab ich mir Teil zwei meiner ewigen Predigt zur Brust genommen: Kurze Zeiteinheiten, Pausen und Leerlauf. Das Spannende ist nämlich: Während des vermeintlichen Leerlaufs feiern die Synapsen Kirtag. Da wird im Unterbewussten verflochten und verknüpft, was mit reiner Konzentrationsleistung am Computer gar nicht zu erreichen wäre. Apropos Computer: Ich arbeite handschriftlich. Ich schreibe Rohtexte per Hand (ja, auch wissenschaftliche), tippe sie ab und überarbeite erneut handschriftlich am Ausdruck. Fällt mir viel mehr ein und auf dabei, weil ich weder 117x auf Posteingang klicke, noch zu formatieren beginne und auch keine kleine Literaturrecherche einbaue, sondern beim Text bleibe. Das jetzt nur so nebenbei.
Jedenfalls hab ich die Diss ein paar Tage liegengelassen und war sehr ratlos. Aber ich war nachmittagelang mit den Söhnchen im Wald, das Notizbuch immer mit dabei. Und dann begann die Struktur der Arbeit hervorzudämmern. Sie kroch langsam heraus. Und dann - als die Brut damit beschäftigt war, Rinde von umgefallenen Bäumen zu kletzeln, stürmte ich wie vom wilden Schwein gebissen plötzlich zum Notizbuch und kritzelte. Kapitel 2, 3, 7 und 14 werden zu folgendem Großkapitel zusammengefasst. Kapitel 5, 16, 4 und 11 gehören hierhin, die restlichen da hin etc. Der Rest ist Geschichte, alles lief ganz wunderbar.
Es geht eben nicht ums Festbeißen, ums Durchpflügen. Bzw. passiert soviel Gutes, wenn die hochkonzentrierten (kurzen!) Phasen von Leerlauf umkränzt sind, mit dem Vertrauen, dass sich wie von magischer Hand dieser mein geschätzter Schädel schon sortieren wird. Und ich kann nur neugierig warten und mir die Hände reiben.